Wenn man nahe Gegenstände scharf, weiter entfernte aber verschwommen sieht, sprechen Fachleute von Myopie, zu Deutsch Kurzsichtigkeit. Seit Jahren stellen Augenärzt:innen und Krankenkassen eine Zunahme der Myopie besonders bei Kindern fest. Dass dies durch den Corona-Lockdown noch verstärkt wird, erklärt sich, wenn man die Ursachen kennt. Und wer die Ursachen kennt, kann mit einfachen Tricks gegensteuern.
Stubenhocker sind besonders gefährdet
In Deutschland sind 35 Prozent der Kinder und Jugendlichen kurzsichtig, Tendenz steigend. Neben genetischer Veranlagung sind vor allem verändere Sehgewohnheiten die Gründe dafür. Zu viel Aufenthalt in Innenräumen ohne Tageslicht, langdauernde Bildschirmzeiten und häufige Smartphonenutzung in zu kurzem Abstand fördern die Entwicklung der Myopie. „Studien zeigen, dass Kurzsichtigkeit zu rund 50 Prozent vom Lebensstil beeinflusst wird“, erklärt Bettina Wabbels von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Wenig helles Tageslicht bedeutet bei Kindern und Jugendlichen ein hohes Risiko, kurzsichtig zu werden. Denn im Freien herrscht an sonnigen Tagen auch im Schatten eine Lichtstärke von etwa 10.000 Lux. In einem Klassenraum oder Kinderzimmer sind es meist nur 500 Lux. Deshalb seien besonders die Stubenhocker gefährdet, die stundenlang bei mangelhafter Beleuchtung Bücher lesen oder bei Distanzunterricht und Onlinespielen auf den Computerbildschirm oder das Smartphone starren, sagen die Wissenschaftler.
Kinder und Jugendliche haben während des ersten Corona-Lockdowns bis zu 75 Prozent mehr Zeit mit digitalen Spielen verbracht. Im September 2019 durchschnittlich 79 Minuten, im April 2020 fast das Doppelte: 139 Minuten. So das Ergebnis einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Zusammenarbeit mit Forschern des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
Nachtlinsen reparieren das Auge
Bei Kindern führt ein häufiges Starren auf nahe Computerbildschirme sogar zu einem Wachsen des Augapfels und damit zu einem längeren Auge. „Ist ein Auge einmal so gewachsen, schrumpft es nicht mehr“, ergänzt Bettina Wabbels. Die Kurzsichtigkeit bleibe dann ein Leben lang. Während Brillen die Fehlsichtigkeit ausgleichen, können spezielle Kontaktlinsen, die nur nachts getragen werden, die Kurzsichtigkeit korrigieren und gleichzeitig ihren Fortschritt bremsen. Friederike Avermann von Avermann Contactlinsen Dortmund, die das spezielle „Sehtalent“-Programm für Kinder ab 6 Jahren anbieten, erklärt dazu: „Je länger der Augapfel geformt ist, desto mehr spannt sich die Netzhaut, so dass sie im Erwachsenenalter mit 40 bis 50 Jahren kaputt gehen kann. Den Prozess des Längerwerdens stoppen die Nacht-Linsen.“ Weitere Informationen dazu unter sehtalent.de
Auch Forscher aus China haben den Zusammenhang zwischen Lockdown während des COVID-19-Ausbruchs und der Entwicklung von Myopie bei Kindern im schulpflichtigen Alter untersucht. China war vom Januar bis Mai 2020 im strengen Lockdown. Die Schulen öffneten erst wieder im Juni 2020. Nach einem fünfmonatigen Lockdown untersuchten die Forscher im Juni 2020 insgesamt 123.535 Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren aus zehn Grundschulen. Die Ergebnisse zeigen bei den 6-jährigen Kindern eine dreimal höhere Häufigkeit von Myopie auf, bei den 7-Jährigen eine zweimal höhere und bei den 8-jährigen Kindern eine 1,4-mal höhere.
Mindestens zwei Stunden Tageslicht im Freien
Der Rat von Augenärzt:innen lautet, Kinder mindestens zwei Stunden am Tag zum Spielen nach draußen zu schicken. Das belegen auch Versuche in China, nach denen der Anteil der kurzsichtigen Kinder spürbar sinkt, wenn mehr Unterricht im Freien stattfindet oder die Pausen an der frischen Luft verbracht werden. Statt drinnen auf den Bildschirm zu starren, sollten Kinder lieber im Freien auf den Horizont blicken, das erhält den Weitblick – auch in Zeiten der Corona-Pandemie.
Einen weiteren Trick kennt die britische Organisation „Fight for Sight“, die in einer umfassenden aktuellen Studie ebenfalls den direkten Zusammenhang von Corona-Lockdown mit der Zunahme der Kurzsichtigkeit herausgefunden hat. Ihre Sprecherin Sherine Krause empfiehlt die „20-20-20-Regel“: alle 20 Minuten sollte der Blick für 20 Sekunden ein Objekt in etwa 20 Fuß (etwa 6 Meter) Entfernung fokussieren. Diese Übung bewirkt, dass die Muskeln um den Augapfel trainiert werden und die Sehkraft erhalten bleibt. Ein Tipp, der weder viel Zeit noch Kraft kostet, aber langfristig die Augengesundheit fördert.