Ich habe geträumt heute Nacht. Einen dieser seltsamen Träume, bei denen man den ganzen Tag noch den Geschmack im Mund hat und Watte in den Ohren, als ob man ein bisschen Traum noch an sich kleben und dafür etwas von sich selber da gelassen hat. Da hilft auch heiß duschen nicht, das geht nicht weg, das Gefühl.
Die Landschaft bestand aus riesigen Muffins und Erdbeertörtchen. Das hätte eigentlich ganz anständig sein können. Aber ich habe es nur durch einen winzigen Spalt gesehen. Um mich herum war wieder dieser dunkle Umhang, der mich zurück gebracht hat. Seltsamerweise hatte ich keine Angst. Unter dem Stoff gab es einen Geruch, der war warm und süß, aber nicht wie Eis oder Kuchen. Ich wusste sofort, dass es ein bekannter Geruch war, wenn mir auch nicht eingefallen ist woher. Das Einzige was ich weiß, ist, dass er mich traurig gemacht hat. Ich habe versucht mich umzudrehen um zu gucken, wer mit mir da drunter steckt. Aber aus irgendeinem Grund ging das nicht. Ich war wie festgewachsen und konnte mich nicht bewegen. Da hat die ganze schöne Aussicht nicht geholfen, das war nicht so richtig toll und ich war ziemlich froh, als ich wieder aufgewacht bin.
Ich bin immer noch verwirrt von allem, was gestern passiert ist, und von meinem Traum. Manchmal hilft es den Fernseher einzuschalten, weil bei all dem Quatsch, der da geredet wird, der eigene Kopf endlich mal die Klappe hält, oder vielleicht höre ich ihn dann einfach nicht mehr so gut, weil der Fernseher so laut ist. Trotzdem tauchen immer wieder Bilder vor meinem inneren Auge auf, von Muffins und Umhängen, von Emma, die am Fenster vorbei läuft und von Felix‘ besorgtem Blick. Deswegen wunder ich mich erst auch gar nicht, als am untersten Rand des Bildschirmes, da wo sonst die Börsenkurse oder Wetterankündigungen stehen, eine Nachricht durchläuft, in der steht: „Hilf mir, Dschäck ohne Bohne! Deine Emma.“ Es dauert einen Moment, bis ich die Ungeheuerlichkeit dessen verstehe. Ich springe auf und schalte den Fernseher ganz schnell aus. Das geht mir entschieden zu weit. Schwer atmend stehe ich an das Regal gelehnt und warte, dass mein Herz sich ein wenig beruhigt.
Als es in diesem Moment an der Tür klingelt, springe ich vor Schreck fast einen Meter in die Luft.
Ich renne zur Tür, lege die Sicherheitskette vor und öffne. Durch den Türspalt sehe ich auf einen Clown, so einen richtigen mit roter Nase und krausem Haar. Ich fand Clowns schon immer unheimlich. Er stellt sich kurz als Pepe, das singende Telegramm vor. Dann klatscht er in die Hände, versucht sich an einigen kleinen Tanzschritten, die jedoch an seinen enormen Schuhen scheitern, und singt in immer höher werdenden Tönen: „Hilf mir, Hilf mir, Hilf mir!!! Dschäääääääääck!“ Schließlich bleibt er wie abgelaufen stehen und sagt in ganz normaler Stimme: „Von Emma“. Er verbeugt sich tief, tippt sich an die Stirn und geht quer, wie ein Skiläufer am Hang, die Stufen wieder nach unten.
Ich höre die Haustür zuschlagen.
So langsam wünsche ich mir mein langweiliges ruhiges Ferienleben zurück, als Enten füttern zu den aufregendsten Dingen des Tages zählte.
Ich schenke mir ein Glas Milch ein und schaue aus dem Fenster in den beruhigend blauen Himmel.
Als der Zeppelin an meinem Fenster vorbei schwebt, hinter sich ein großes Transparent, das er über der ganzen Stadt flattern lässt, wundere ich mich kaum noch. „Bitte“ steht da nur drauf und „Emma“, das ist alles. Ich stelle meine Tasse in die Spüle und wende mich an den einzigen, der mir vielleicht sagen kann, wie ich zu Emma komme.
Ich sitze am Küchentisch mit Eduard. Eduard habe ich den pink gestreiften Teddybären genannt. Ich habe immer noch ein bisschen Angst, dass gleich die Polizei vor der Tür steht und mich festnimmt weil ich ihn angeblich geklaut habe. Dabei habe ich wirklich keine Ahnung, wie er hierher gekommen ist.
Seit dem kurzen Satz gestern hat er nichts mehr gesagt. Er hockt da, wie es sich für einen Teddybären gehört und macht nicht den geringsten Mucks. Ich habe ihm etwas von meinem Spiegelei angeboten, ihn versucht zu ignorieren und ihn angeschrien, nichts hat geholfen. Nur einmal hatte ich das Gefühl, in seinen schwarzen Knopfaugen blitzte es kurz auf. Das war, als ich kurzfristig überlegt habe, ihm einen Mädchennamen zu geben, wegen seiner pinken Streifen.
Frank ist heute Morgen schon ganz früh weg, er musste zum Arbeitsamt.
Ich war noch nie da, aber ich glaube nicht, dass es ein besonders schöner Ort ist. Bevor Frank dahin geht, ist er immer noch ein bisschen weniger da als sonst und ich glaube, wenn er eine Zeichentrickfigur wäre, dann würde eine dicke Wolke über seinem Kopf hängen, eine ganz dunkelgraue mit Donnern und Blitzen. Ich spreche ihn dann immer lieber nicht an, sonst gewittert es auf mich hinunter, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber noch schlimmer ist es, wenn er wieder kommt. Dann ist die Gewitterwolke weg, aber dafür ist Frank ganz grau.
Ich stelle mir das Arbeitsamt vor wie eine Art Waschanlage. Die Menschen gehen bunt hinein und müssen sich auf ein Fließband setzen. Dann fahren sie langsam an lauter grauen Menschen in Anzügen vorbei, die drücken auf Hebel und Knöpfe und eine Farbe nach der anderen wird herunter gewaschen und in großen Kübeln im Keller gesammelt. Was sie damit vorhaben, weiß ich auch nicht.
Als also der graue Frank in die Küche kommt, sage ich lieber gar nichts. Ich schiebe ihm ein frischgeschmiertes Nutella-Brötchen hin, manchmal hilft das. Er zeigt auf Eduard.
„Warum genau unterhältst du dich mit Plüschtieren?“
„Weil er weiß, wo Emma ist.“
„Aha.“
Er nimmt sich das Nutella-Brötchen, beißt herzhaft hinein und macht sich auf den Weg Richtung Wohnzimmer. Im Türrahmen dreht er sich noch einmal um.
„Wer ist Emma?“
„Eine Freundin.“
„Eine Freundin??“ Während er das sagt, malt er mit zwei Fingern Gänsefüßchen in die Luft. Er kann so peinlich sein.
„Oh, Papa!!!“
„Lern ich Emma auch mal kennen?“
„Aber sie ist doch verschwunden!“
„Ach ja richtig“, er kommt wieder zurück, stellt sich genau vor mich hin, nimmt noch einen großen Bissen vom Nutella-Brötchen und beobachtet mich genau, während er kaut. Er macht mich nervös.
„Du bist dir ganz sicher, dass Emma ein reales Mädchen ist?“
„Papaaaaa!!!“ Er fängt an mir wirklich auf den Keks zu gehen. Er zuckt mit den Schultern und zeigt auf Eduard.
„Naja. Immerhin unterhältst du dich ja auch mit Plüschtigern.“
„Das ist kein Tiger. Das ist ein Bär. Und er heißt Eduard.“
„Hallo Eduard“, sagt Frank.
„Hallo Frank!“ sagt Eduard und rülpst kräftig.
Frank hat es nicht so gut aufgenommen. Er hat sich an den Kopf gefasst, etwas von Migräne gemurmelt und ist ganz schnell ins Bett gegangen.
„Soso. Mit Frank redest du also wohl!“
Endlich sieht Eduard mich direkt an, verschränkt aber auch sofort bockig seine Pfoten vor der Brust.
„Ich habe dir eben nichts zu sagen.“
„Bitte! Du musst mir sagen, wie ich zurück in dein Land komme. Ich muss Emma helfen.“
Eduard lässt die Ärmchen sinken und schaut mich, so gut das geht mit seinen 30 cm Höhe, von oben herab an.
„Wenn es an der Zeit ist, wirst du gerufen werden. Jetzt nicht.“
Ich habe keine Geduld mehr mit ihm, stecke ihn in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg. Zwischendurch höre ich aus der Tasche wütendes Gemurmel. Eduard beschwert sich über die Dunkelheit, über den Geruch, über das Geschaukel.
„Dann sag mir endlich, wo Emma ist oder wie ich in dein Land zurückkomme!“ rufe ich so, dass er es auch da hinten auf meinem Rücken noch hört. Eine junge Frau mit Kinderwagen schaut mir äußerst mitleidig hinterher.
„Jetzt nicht“, ruft Eduard genervt zurück und schimpft weiter.
Ich habe alles Geld aus meinem Sparschwein genommen und kaufe mir am U-Bahn-Schalter ein Tagesticket. Es dauert eine Weile, bis der Mann hinter der Scheibe meine ganzen ein und zwei Cent-Stücke abgezählt hat.
Den ganzen Nachmittag fahre ich kreuz und quer mit allen U-Bahnen. Aber immer, wenn wir an einer Endhaltestelle ankommen, läuft der Fahrer durch den Wagen und wirft mich hinaus. Zweimal erwische ich sogar den gleichen Fahrer. Er fragt mich, ob ich heute Nacht einen Platz zum schlafen habe, das ist mir ein bisschen peinlich.
Einmal denke ich, jetzt habe ich die richtige Bahn gefunden. Sie fährt immer und immer weiter. Als ich einen Mitfahrer frage, ob wir an der Endhaltestelle schon vorbei sind, lacht er. „Es gibt keine Endhaltestellen bei der Ringbahn“.
Nach stundenlangem Herumfahren tut mir der Popo weh und es dämmert schon. Hunger habe ich auch. Sogar Eduard scheint eingeschlafen zu sein.
Zuhause ist es dunkel, bis auf das blaue Flackern des Fernsehers im Wohnzimmer.
Ich stecke kurz meinen Kopf durch die Tür, um Frank gute Nacht zu sagen und gehe schlafen. Ich habe keine Ahnung, wie ich Emma jemals wieder finden soll.
Ich schüttel Eduard noch einmal, aber seine Plüscharme schaukeln nur langsam vor und zur. Trotz all der Gedanken, die durch meinen Kopf kugeln wie eine schwere kreisende Bowling-Kugel, schlafe ich erstaunlich schnell ein.
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch, weil ich ein Gewicht auf meiner Brust spüre. Vor mir bewegt sich ein Schatten, aber gerade als ich losschreien will, presst sich eine pelzige Pfote auf meinen Mund.
„Jetzt“, flüstert Eduard in mein Ohr und schon fühle ich das schwarze Wirbeln um mich herum.