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Kita, Kitakrise, Kindergarten
Erschöpfte Kleinkinder, verzweifelte Eltern und überlastete Pädagog:innen: Die Kitakrise fordert seit Jahren ihre Opfer, aber eine echte Lösung und konkrete Veränderungen seitens der Politik sind nicht in Sicht. Angesichts vieler anderer Krisen scheint das Thema einfach unterzugehen. 300 Wissenschaftler:innen und Organisationen schlagen deshalb jetzt Alarm und veröffentlichen am 5. September 2024 einen offenen Brief zur aktuellen Kitakrise an die Bundesregierung. Denn:
Die aktuelle Situation widerspricht grundlegend den Grundbedürfnissen und Rechten von Kindern.
Die Wissenschaftlerin Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, hat schon vor der Pandemie in einer Studie das Wohlbefinden von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr in Kindertageseinrichtungen (StimtS) untersucht. Demnach zeigten 20 Prozent der Kinder während der Beobachtungen im Kitaalltag deutliche Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit. Eine aktuelle Studie zum "Stresserleben von pädagogischen Fachkräften und den von ihnen betreuten Kindern im Alter von 12 bis 36 Monaten in Kindertageseinrichtungen" soll im Oktober 2024 ausgewertet werden, aber schon jetzt ist deutlich: Die Ergebnisse werden schlimmer ausfallen.
Es gibt klare Hinweise auf erhöhte Spannungen in den Familien und einen Anstieg familiärer Gewalt.
Deshalb prangern rund 300 Wissenschaftler:innen und Organisationen jetzt die Überlastung vieler Kindertagesstätten in Deutschland an. In dem Schreiben, das am 5. September 2024 an die Bundesregierung übergeben und veröffentlicht wurde, warnen die Wissenschaftler:innen vor den negativen Auswirkungen von Stressbelastung in den ersten Lebensjahren und einer Gefährdung des Kindeswohls.
Die Forscher:innen beobachten für ihre Studien das Verhalten der Kinder, erheben Rahmenbedingungen der Einrichtung und beziehen die Perspektive der Fachkräfte und Eltern mit ein. Ihr Ziel ist es, Wege zur Verbesserung der Situation in den Kitas zu entwickeln. Dazu führt das Forschungsteam schriftliche und mündliche Befragungen, videogestützte Beobachtungen und physikalische Messungen durch, bei denen das Stresslevel der Kinder und Betreuer:innen von der Cortisolmenge im Speichel abgeleitet wird. Die Forscher:innen sehen eine neue Eskalationsstufe aufgrund von Personalmangel, Vereinbarkeitsproblemen und Bildungsabsturz als erwiesen.
Eine zentrale Forderung von Rahel Dreyer und ihren Kollegen lautet, das in der Koalition vereinbarte Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz mit einer kontinuierlichen finanziellen Förderung des Bundes und einheitlichen Qualitätsstandards endlich auf den Weg zu bringen:
Die Folgen für Kinder, Eltern, Fachkräfte und die gesamte Gesellschaft sind jetzt schon durch eine Zunahme psychischer Auffälligkeiten sowie eine wachsende Bildungslücke - insbesondere bei von Armut betroffenen oder bedrohten Kindern - fast irreparabel. Um den drohenden Zusammenbruch des Systems abzuwenden, sind jetzt erhebliche Investitionen und mittelfristig eine kontinuierliche Erhöhung der Ressourcen nötig.
Initiiert wurde der offene Brief von Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie an der Alice Salomon Hochschule Berlin, und Michael Schulte-Markwort, Kinder- und Jugendpsychiater an der Medical School in Hamburg. Unter den 300 Unterzeichner:innen sind namhafte Entwicklungspsychologen, Kindheitspädagogen, Bildungsforscher und Mediziner.