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Sabina Dopczynska
Sabina Dopczynska ist als psychomotorische Bewegungstherapeutin in der sozialpädagogischen Familienhilfe und als Familienberaterin tätig. In erlebnispädagogischen Trainings schult und stärkt sie soziale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen. 2014 gründete sie ihre Kletterschule Klettern mit Köpfchen. Im Interview spricht sie über den Luxus der Langeweile.
ruhrpottKIDS: Wie finden Sie Langeweile?
Sabina Dopczynska: „Langeweile ist ein böses Kraut, aber auch eine Würze, die viel verdaut.“ Nämlich die unliebsame Monotonie, Eintönigkeit und den grauen Alltag mit seinen Verpflichtungen und Aufgaben. Wenn endlich Langeweile aufkommt, darf unser Gehirn auf Leerlauf schalten. Das ist eine kleine Pause im Denken und Machen und schafft Raum für die so wohltuenden Tagträume, neue Ideen und Geistesblitze. Wer sich Zeit zum Grübeln gönnt, der schafft schon mal beste Voraussetzung für Kreativität. Langeweile ist demnach für mich kein Nichtstun, sondern purer Luxus des Verweilens, Innehaltens und neu Sortierens. Indem ich mich langweile, befinde ich mich in der glücklichen Ausgangslage, mich mit einer bestimmten Sache eine lange Weile zu beschäftigen. Und dies ist in unserer vollgepackten und kurzweiligen Zeit schierer Luxus. Endlich viel Zeit einer einzigen Sache zu widmen. Wer sehnt sich nicht danach?
Kinder haben dauernd jede Menge zu tun – haben sie überhaupt noch eine Chance auf Langeweile?
Grundsätzlich ist es nicht falsch, dass Kinder heutzutage gefördert und damit gefordert werden. Es kommt aber wie so oft auf das gesunde Mittelmaß an. Unsere leistungsgeprägte Gesellschaft und Alltagskultur verbieten uns die Langeweile. Sie ist zunächst mal negativ besetzt. Problematisch wird es auch, wenn wir unseren Nachwuchs mit zu viel Unterhaltungstechnik ablenken, um sie beispielsweise mal schnell „ruhig zu stellen“ und unseren eigenen Verpflichtungen nachzugehen. Noch schlimmer machen wir es, indem wir unseren Kindern ihre eigene Freizeit mit immens vielen Inhalten bis ins Letzte füllen und ihnen einen durchgetakteten „Erwachsenenalltag“ zumuten. So haben Kinder keine Chance, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und auch zu verfolgen, da sie ständig mit äußeren Reizen überflutet werden. Dabei kann es nur Ziel der Eltern sein, dass Kinder von sich aus entdecken, was ihnen Freude bereitet und ihre Augen langfristig zum Leuchten bringt. Erst dann entsteht echte und anhaltende Begeisterung für eine Sache, die Kinder von sich aus immer wieder aufsuchen werden wollen.
Wie sollten Eltern reagieren, wenn ihre Kinder über Langeweile klagen?
Wichtig ist zu begreifen, warum genau die Langeweile aufkommt. Psychologen erklären Langeweile damit, das Erwachsene wie Kinder ihre Aufmerksamkeit nicht mehr vernünftig fokussieren können. Ihnen geht also die Aufmerksamkeit flöten. Wir kennen es von uns selbst. Zu viele Reize von außen lassen unseren Fokus und den so notwendigen Tunnelblick für unsere Aufgabe erst gar nicht entstehen. Was Kinder heutzutage mehr denn je brauchen, ist eine freie, nicht von Erwachsenen oder Medien reglementierte Zeit, die am besten von purer Lust nach Entdeckung und sinnlicher Erfahrung angetrieben wird. Und was machen Kinder am liebsten? Sich bewegen und natürlich spielen. Und so bringt man am besten beides zusammen. Dann wird daraus bewegtes Spielen. Die Aufgabe von uns Erwachsenen ist es also, unserem Nachwuchs einen sinnvollen und kreativen Rahmen zu schaffen. Das kann das Kinderzimmer mit unterschiedlichen Spielsachen oder kreativen Materialien sein, der eigene Garten oder im Frühjahr der Park oder Wald. Dann werden aus scheinbar simplen und trivialen Gegenständen wahre Prachtschlösser und Abenteuerwelten.
Früher hatten Kinder Langeweile, wenn sie nicht wussten, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten. Ist das immer noch so?
Ich erinnere mich an den Spruch meiner Großeltern: „Früher mussten wir aus Nichts etwas herzaubern“. Ich denke, da liegt der große Unterschied. Der Generation meiner Großeltern blieb nichts anderes übrig als zu improvisieren. Denn es gab nicht so viele vorgefertigte Sachen. Es gab kein Monopoly, diverse Kartenspiele, Playmobil oder Gameboy, was Eltern ihren Kindern vorsetzen konnten. Da hieß es raus auf die Straße oder in den Wald und sich aus Stein, Papier, Ästen und Zweigen eigene kleine Abenteuerwelten kreieren, die zu wahren Entdeckungswelten wachsen durften. Und so suchten sich Kinder automatisch und aktiv die Beschäftigung, für die sie sich begeistern konnten. Es ist fraglich, ob Playstation, Fernseher oder Tablet den gleichen Aufforderungscharakter zum Entdecken in sich tragen oder vielmehr ein reines Konsumieren bedeuten, auch wenn ich denke, dass gut angeleitete Medienbildung aktivierend und bereichernd sein kann.
Wer nichts zu tun hat, fühlt sich oft unwohl. Hat dieser Zustand auch etwas Gutes?
Es soll weder der Eindruck entstehen, dass Langeweile besonders schlecht ist, weil scheinbar rein gar nichts passiert, noch dass Langeweile besonders gut ist, weil aus meinem Kind später womöglich ein großer Künstler wird, weil es automatisch kreative Pausen hatte. Außerdem lässt sich ein gewisses Maß an Langeweile nicht vermeiden. Handeln sollte man aber, wenn Langeweile häufig oder dauernd empfunden wird. Kinder brauchen die Möglichkeit herauszufinden, was sie wirklich fesselt und begeistert. Sie machen immens wichtige Entwicklungsschritte, wenn wir ihnen die Erfahrung ermöglichen, Langeweile zu überwinden. Dazu müssen Eltern einen Raum schaffen, in dem Kinder eigene Interessen entdecken und entwickeln können. Es gibt einen Spruch, der trifft den Kern der Sache: Langeweile ist der Wunsch nach Wünschen. Eltern sollten ihre Kinder darin unterstützen herauszufinden, was sie sich wirklich wünschen, und zwar von sich aus.
Kann man denn Langeweile bei Kindern auch „fördern“?
Wenn wir Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung herausnehmen und neuen Räumen und Impulsen aussetzen, ist damit schon mal viel gewonnen. Denn dann begeben sich Kinder auf Entdeckungssuche und müssen herausfinden, wo für sie der eigene Reiz und die eigene Lust steckt. Wichtig ist, den Kindern in diesem Entwicklungsprozess einen sicheren emotionalen Hafen zu bieten und sie in ihrer Neugierde und Entdeckungslust zu bestärken. Außerdem sollte Förderung stets kindgerecht und nicht von eigenen Wunschvorstellungen geleitet sein. Dies verlangt von Erwachsenen, sich von eigenen Grundannahmen zu lösen und mal selbst Kind zu sein. Sich also unwissend, neugierig und aufgeschlossen zu zeigen. Also raus aus alten Rastern, rein in neue Abenteuer- und Erlebensräume, die unsere Kinder neue Erfahrungswelten und somit neue Interessen und Stärken entdecken lässt.
Vielen Dank für das Gespräch!
In unseren Artikeln Mehr Raum für Langeweile und Wie finden Kinder Langeweile? vertiefen wir den Blick auf die Langeweile.