
Foto: Peter Smola/pixelio.de
Munition
Mindestens zwei Jugendliche starben Mittwochmorgen an einer Schule in Oregon. Der eine erschossen, der andere vermutlich der Täter, der sich selbst gerichtet hat. Das Opfer ist 14 Jahre.
Das habe ich gerade auf Buzzfeed gelesen, wo ich eigentlich nach netten neuen DIY-Ideen für unseren BLOG gesucht habe. Bei Yahoo-News oder GMX steht noch nichts. Die Artikel, die man dort findet, beschäftigen sich größtenteils mit Katie Price' Dekolleté, Prinzessin Leonores Taufe und Lena Meyer-Landruts ungeschminktem Gesicht.
Vielleicht auch nicht erstaunlich. Von den anderen „Public Shootings“, die in den letzten sieben Tagen in Amerika statt gefunden haben, habe ich auch nicht viel mitbekommen.
5. Juni – Seattle Pacific University
6. Juni – GA Court House
8. Juni – Las Vegas Police
10. Juni – Oregon High School.
“We’re the only developed country in the world where this happens,” sagt Obama dazu, “and it happens every week.” (Wir sind das einzige Industrieland der Welt, in dem so etwas passiert. Und es passiert jede Woche.)
Seit dem Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School in Newton im Bundesstaat Connecticut am 14. Dezember 2012 gab es 74 „School Shootings“ in den USA.
Dabei fällt mir auf, dass wir in der deutschen Sprache gar keine richtige Übersetzung für „Shootings“ haben, oder täusche ich mich? Eine Schießerei findet eher im Western-Saloon statt und eigentlich auch nur im Film. An einem Schusswechsel hingegen sind mindestens zwei Menschen beteiligt. Amoklauf, ok. Aber ist jedes „Shooting“ auch gleich ein Amoklauf oder ist ein Amoklauf nicht automatisch wahllos bzw. außer Kontrolle geraten?
Es ist spannend, die Kommentare auf der amerikanischen Internetseite zu lesen. Da ist davon die Rede, das Autos ja auch nicht verboten werden, obwohl täglich hunderte Menschen durch Autounfälle sterben.
Interessant fand ich auch diese Aussage:
„[...] to blame an entire group of people for the acts of a few crazy ones is stupid. Do we blame all Germans for the atrocities that were committed during WWII? Do we blame every Muslim for the attacks on the World Trade Center?“
(im Wortlaut: „Eine ganze Gruppe von Leuten für die Taten einiger Verrückter zu beschuldigen ist dumm. Beschuldigen wir etwa alle Deutschen für die Abscheulichkeiten des Zweiten Weltkrieges, oder alle Muslime für das Attentat am World Trade Center?“)
Da darf sich jetzt jeder seinen eigenen Teil zu denken, ich möchte an dieser Stelle nämlich nicht ausfallend werden ...
Eine Userin fragt hingegen, ob sie bitte in Europa ein Flüchtlings-Visa beantragen dürfe. Sie hätte zu Hause einfach zu viel Angst aus dem Haus zu gehen.
Wenn ich mir die wenigen bisher veröffentlichten Fotos anschaue, kommen mir die Tränen, obwohl man sie doch immer und immer wieder sieht. Verängstigte Schüler, die in einer Reihe stehen, damit die Polizei sie einzeln nach Waffen absucht und besorgte Eltern vor der Absperrung, die darauf warten ihre traumatisierten Kinder abzuholen und sie weinend in die Arme zu schließen, weil sie überhaupt lebend heraus gekommen sind.
Dieses Mal.
Die Vorstellung einmal selber vor so einer Absperrung zu stehen, schnürt mir die Luft ab.
Spätestens seit Erfurt aber wissen wir, dass Amokläufe nicht ein rein amerikanisches Phänomen sind. Zum Glück sind sie in Deutschland noch die Ausnahme. Noch.
Als ich im letzten Jahr im Rahmen eines Klassentreffens nach zwanzig Jahren meine alte Schule besichtigt habe, war ich überrascht. Nicht nur über die hellen Flure, die freundlichen Farben und den endlich verschwundenen braunen Kratze-Teppich. Sondern vor allem über die Sicherheitsmaßnahmen. Amok-Alarm-Knöpfe alle paar Meter, jeder Klassenraum lässt sich mit einem Handgriff von innen abschließen und mit Hilfe von schusssicheren Rollläden verriegeln. Außerdem gibt es zwei-, dreimal pro Halbjahr Amok-Übungen. Standard bei neu renovierten Schulen. Die Schule meines Sohnes hat keine derartigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen und ich weiß nicht, ob ich froh darüber sein soll oder beunruhigt. Es gibt zwei Berufsfelder, die ich ihm für später gerne verbieten würde: Preisboxer und Berufssoldat. Ich hätte einfach zu viel Angst um ihn.
Aber was für eine Welt ist das, in der wir „Schüler“ in diese Reihe eingliedern müssen? Müssen Sprachwissenschaftler anfangen, sich eine adäquate Übersetzung für „Shootings“ auszudenken?
Ich hoffe nicht.