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Familienfreundlich
Wer an Familienfreundlichkeit denkt, denkt an den Kellner im Restaurant, der ungefragt den Kinderhochstuhl bringt, helfende Hände beim Kinderwagen an der Rolltreppe oder Verständnis für Kinder, die laut und eindringlich an der Supermarktkasse zetern. Eine neue Studie zeigt darüber hinaus auf, dass die Menschen mit Familienfreundlichkeit auch konkrete Erwartungen an die Politik verbinden.
Die repräsentative Studie des SINUS-Instituts, die im Frühjahr 2023 veröffentlicht wurde, erhebt erstmals, was die Bevölkerung unter Familienfreundlichkeit versteht und was nötig ist, um Deutschland zu einem familienfreundlicheren Land zu machen. Die Ergebnisse zeigen: Familien wünschen sich Respekt und Anerkennung - und zwar im gesellschaftlichen Miteinander ebenso wie in der politischen Gestaltung. Und sie sind eine deutliche Handlungsaufforderung an die Bundesregierung, diese drei dringendsten Themen endlich anzugehen:
- Familienfreundliches Wohnen
- Soziale Sicherung
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Familienfreundliches Wohnen
In der Untersuchung wurde deutlich, dass dem Thema Wohnen eine hohe Relevanz zukommt. Über alle Milieus und Einkommensgruppen hinweg wurde das Problem des mangelnden Angebots an verfügbarem Wohnraum für Familien thematisiert. Dieses Thema ist nicht neu, hat aber aus Sicht der Familien deutlich an Relevanz zugenommen. Die – aufgrund des Kriegs in der Ukraine – steigenden Energiekosten verschärfen die Situation, da sie zusätzlich das Wohnbudget belasten. Das Thema Wohnen wird somit zur sozialen und damit auch zur Frage von Familienfreundlichkeit. Alarmierend ist der Befund, dass die begrenzte Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum mittlerweile einer der Hauptgründe dafür ist, keine (weiteren) Kinder zu bekommen. So geben 42 % der Eltern zwischen 18 und 29 Jahren und 33 % der Eltern im Alter zwischen 30 und 39 Jahren ohne weiteren Kinderwunsch an, dass der Wohnraum nicht groß genug sei und sie deswegen die Familie nicht vergrößern wollten.
Soziale Sicherung
Eine grundlegende soziale und finanzielle Sicherung sowie der Schutz vor Altersarmut von Familien bilden einen starken Schwerpunkt. Während 89 % der Befragte es als extrem relevant ansehen, Mütter und Väter vor Altersarmut zu schützen, sehen nur 30 % diese Aufgabe als erfüllt an. Über die staatliche Grundsicherung hinaus, nennen Eltern aus den mittleren bis gehobenen Einkommensschichten den Wunsch nach zusätzlicher finanzieller Entlastung. Insbesondere im finanziellen Bereich hat man das Gefühl, gegenüber kinderlosen Paaren das Nachsehen zu haben. In der Repräsentativbefragung gaben 32 % der Eltern unter 30 Jahren und 44 % der Eltern zwischen 30 und 39 Jahren ohne weiteren Kinderwunsch an, dass der Grund für die Entscheidung gegen ein weiteres Kind die Sorge sei, sich ein weiteres Kind finanziell nicht leisten zu können. Als Lösungsvorschläge wurden Steuererleichterungen für Familien, wie beispielsweise eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Produkte für Kinder oder eine Verbesserung des Lohnsteuerklassensystems für Personen mit Kindern, als Mittel zur Steigerung von Familienfreundlichkeit angesprochen. Die Eltern wünschen sich die Möglichkeit, Wohlstand aufzubauen, aber nur 43 % der Eltern halten den sozialen Aufstieg mit Kind in Deutschland für möglich ist.
Ich möchte gerne den Kindern viel mehr bieten, aber als normaler Arbeitnehmer schafft man das gar nicht. (...) Das greift so tief ins Familienportemonnaie, und wenn man als normale Angestellte tätig ist, muss man da Abgrenzungen machen.
So die Aussage einer weiblichen Befragten, 41 Jahre, zwei Kinder (12 und 15 Jahre).
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
So halten 91 % der Befragten die Vereinbarkeit der Betreuungszeiten für die Kinder mit ihrem Beruf für extrem wichtig, aber nur 37 % sehen dies als verwirklicht an. Zwar ist etwa die Hälfte (47 %) bereits der Meinung, dass Arbeitgeber:innen ihre Mitarbeitenden in der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie unterstützen und auf die familiären Verpflichtungen beziehungsweise die besonderen Herausforderungen von Eltern Rücksicht nehmen. Insgesamt scheint die Familienfreundlichkeit aber noch sehr von den einzelnen Arbeitgeber:innen sowie der Branche abzuhängen. Während zum Beispiel Personen im öffentlichen Dienst familienfreundliche Bedingungen loben, berichten insbesondere Mütter, die in Teilzeit arbeiten, von der Sorge, als Person mit Familienverpflichtung bei der Einstellung benachteiligt zu werden.
Fazit
Familien fordern von der Politik einen realistischen Blick auf ihre vielfältigen Lebensformen, Voraussetzungen und entsprechenden Bedarfe. Bisher sehen sich vor allem Familien in aufstiegsorientierten Milieus mit mittleren bis hohen Ressourcen hinsichtlich Einkommen und Bildung sehr gut von der Familienpolitik unterstützt. Aber vor allem Alleinerziehende, Familien mit drei oder mehr Kindern sowie Patchworkfamilien betrachten Deutschland insgesamt als mäßig bis kaum familienfreundlich. Gerade diese Familien vermissen Wertschätzung und Entlastung in einem oft fordernden Alltag.